Surft man in Sozialen Medien oder liest man in Management-Ratgebern dann kommt man um die Begriffe #be yourself #sei authentisch oder #lebedeinewerte nicht herum. Wie die Sau durchs Dorf getrieben erlebt die echte Wahrhaftigkeit neuen Aufschwung. Die Forderung nach Echtheit wird auch mit moderner Führung assoziiert.
Der heimatliebende CEO zeigt sich im Wanderoutfit, die neue hippe Geschäftsführerin beim Marathon-Lauf in Spanien. Die Sehnsucht dahinter ist verstehbar. Auch Führungskräfte sind Menschen und die Wiederkehr des Persönlichen in der Wirtschaft ist möglicherweise längst überfällig. Doch ist hundertprozentige Authentizität im Sinne von „ich-zeige-mich-stets-so-wie-mir-zumute-ist“ im Unternehmenskontext sinnvoll?
Hier braucht es eine differenzierte Betrachtung. Zum einen natürlich: ja. Wir wollen wissen, welchem Menschen wir gegenüber stehen, wie unsere Chefin tickt und was ihre Werte sind. Wir können besser Vertrauen aufbauen, wenn wir verstehen, was einer Person wichtig ist und was sie triggert. Wir wollen Menschen einschätzen können und uns im Dialog sicher fühlen. Doch ist hier bloße Authentizität alleine zu wenig. Gerade im Managementkontext gilt es sich bewusst zu machen, dass wir mit unserer Persönlichkeit eine Rolle ausfüllen. Jede Rolle bringt Aufgaben und Erwartungen mit sich. Der amerikanische Soziologe Michael Gibbons bringt hier den Begriff „extrinsische Authentizität“ ins Spiel: Sie beschreibt das Ergebnis der Bewertung einer Identität von außen. Also: Was erwarten die Mitarbeitenden von einer Führungskraft? Authentizität ist nämlich nicht das, was wir sind, sondern, was andere an uns wahrnehmen.
Man stelle sich kurz eine Königin ohne Krone vor, einen Rockmusiker ohne schwarze Lederjacke, den Nikolaus ohne weißen Bart … und schon werden wir feststellen, dass wir alle innere Bilder haben, die wir mit bestimmten Rollen verknüpfen.
Es geht also eher darum, die berufliche Rolle mit Präsenz einzunehmen und nicht im Sinne von maximaler Authentizität sämtliche Gefühle, Motivationen und Gedanken direkt auszusprechen. Sondern wie die Psychoanalytikerin Ruth Cohn skizziert, „optimale Authentizität“ zu leben. Sprich: Die soziale Situation wird berücksichtigt und im Rahmen dieser die Führungsrolle gut gelebt. Natürlich im Sinne der eigenen Werte und Haltungen, aber eben selektiv. Eine radikal ehrliche Organisation wäre nicht auszuhalten, das könnte möglicherweise überfordernd für alle Beteiligten sein.
Vielleicht liegt die Lösung vielmehr in der Resonanz zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden? Gelebte Beziehung, Vertrauenskultur, Offenheit für „Menschliches“ und gemeinsames, neugieriges die Zukunft entdecken … Veränderungen zu gestalten sowie die Kirche im Dorf zu lassen, wenn es mal funkt. Da reicht es vermutlich schon, wenn wir halbwegs zum Ausdruck bringen, was wir denken und fühlen und was Sache ist … und das darf sich selbstverständlich auch immer wieder ändern!